Lionel und so - Eine Boxcar-Geschichte

#1 von martin67 , 22.03.2024 22:50

Die Geschichte beginnt, als der große amerikanische Löwe an seiner eigenen Trägheit zu erkranken begann. Sich auszuruhen auf dem Geleisteten, zu glauben, der Kunde wird es hinnehmen. Erinnert ein wenig an die Diskussionen hierzulande über Pufferbohlenhöhen oder Abwärtskompatibilität. Aber wir wollen ja nicht nach "Hierzulande" blicken, sondern über den Teich. Wir schreiben das Jahr 1948, der Krieg war vorbei und im Land war der Aufbruch zu spüren. Lionel brachte in diesem Jahr eine Ikone der Modellbahn auf den Markt, die für rund 50 Jahre oder mehr immer wieder durchgenudelt wurde, die Santa Fe EMD F3A. Mit ihrer eleganten rot-silbernen "Warbonnet" Lackierung war sie der Inbegriff der Moderne und Traum aller Modellbahner. Es gab sie zusammen mit Güterwagen. Punkt. Fehlanzeige waren die silbernen Budd-Stromlinienwagen, mit ihren Aussichtskuppeln und dem abgerundeten Schlusswagen, die damals der Inbegriff moderner und luxuriöser Reisekultur waren. 1950 erbarmte sich ein Hersteller namens AMT und brachte passend zur F3, die schon zwei Jahre auf dem Markt war, passende Wagen aus Aluminium. Und es dauerte weitere zwei Jahre, bis Lionel endlich seine eigenen Wagen brachte. Die waren gut und werden sicher nochmal Thema hier im Forum, versprochen.

Lionel verkaufte auch Güterwagen, der Boxcar war grundsätzlich nicht schlecht, allerdings doch etwas sehr deutlich zu kurz geraten. Natürlich wurde er gekauft, es gab ja nichts besseres,

Lionel 6454 Boxcar

Bis 1952 wiederum AMT gedeckte Güterwagen in nahezu maßstäblicher Ausführung in einer Vielzahl von Roadnames erfolgreich auf den Markt brachte. Die Geschichte von AMT/Kusan /Kris kann man grob bei der Train Collectors Association (TCA) nachlesen, da sind auch Bilder der Streamliner zu sehen (Sandor hat, glaube ich, auch schon mal welche hier gezeigt).

American Model Toys History (TCA)

Mit den Boxcars kam wieder Druck auf, und Lionel sah sich gezwungen, die alten 6454-Wagen durch bessere zu ersetzen. Es entstand der legendäre 6464-Wagen, nicht ganz so groß, wie der Wagen von AMT, trotzdem in seinen Proportionen ausgewogen und gut gelungen. Wegen der besseren Bedruckbarkeit waren von Anfang an verschiedene Nietreihen an der Außenwand des Wagens unvollständig nachgebildet. Und wegen der noch besseren Bedruckbarkeit wurden immer mehr dieser Nietreihen aus der Form eliminiert. Ich besitze keinen dieser frühen 6464-Wagen, sagen wir, noch nicht. Deshalb könnte man, wenn man die Evolution verfolgen möchte, auf die Webseite z.B. von Robert's Trains zurückgreifen, und sich die verschiedenen Ausführungen der 6464er näher ansehen.

Robert's Trains

Mit dem Ende der Post War Ära und der folgenden Übernahme von Lionel durch MPC War von den Nieten nur noch jeweils ein Stummel an der Ober- und Unterkante des Wagenaufbaus übrig geblieben. Der Aufbau war glatt und konnte beliebig (auch großflächig) bedruckt werden. Und jetzt kommen auch mal ein paar Bilder. Der folgende Wagen der Penn Central ist geglättet, aber noch komplett lackiert und er hat einen Wagenboden aus Blech. In der MPC-Zeit liefen diese Wagen zunächst im Nummernkreis 9200, dann 9700, 9400, 19200 und mit der Kughn-Ära als 16200. Fast immer ist unter diesen Nummer ein 6464-Abkömmling zu finden, aber es tauchen auch ab und an Wagen anderer Bauart auf.



Auf den folgenden Bild deutlich zu sehen, die Nietreihen oben und unten angedeutet.



Am Ende mit der Handbremse ist auf dem Panel rechts LIONEL geprägt.



Am anderen Ende steht 9700 Series, Übrigens auch bei den Wagen der 9400er Serie.



Die Tür weist vier Panels auf, die wurden zur besseren Bedruckung für den Wagen der Bangor & Aroostock Railroad eingeführt und blieben meist ungenutzt.



Diese Wagen gab es in der MPC- und Kughn-Zeit in unzähligen Bedruckungsvarianten. Es ging weiter mit der Entfeinerung, auf Lack wurde verzichtet, die Wagen bekamen ein billiges Aussehen. Der Höhepunkt dürfte 1993 mit dem New Haven Wagen erreicht worden sein. Plastikfahrgestell, durchscheinender, billiger Kunststoff, einfarbige Bedruckung, die Prägung der Panels an den Stirnwänden wurde entfernt.



Schon zwei Jahre vorher wurde angekündigt, dass diese Boxcars eine Auffrischung erhalten werden. Zum ersten Mal in deren Geschichte wurden alle Nietreihen komplett dargestellt. Dazu wurde die vorhandene Form überarbeitet. Das Ergebnis war besser, allerdings hielt man am durchgefärbten Kunststoff und am Plastikfahrgestell fest.



Die Panels an den Wagenenden blieben ungeprägt.



Auf den folgenden Bildern ist gut zu erkennen, wie die Nietreihen ergänzt wurden. Hier hätte man sich vielleicht etwas mehr Mühe geben können.









Im Jahr 1999 wurde der Wagen komplett neu aufgebaut. Der Wagenkasten war identisch, allerdings, waren alle Nähte und Nieten, Leitern, Griffstangen scharfkantig und sauber. Das Fahrgestell bestand aus Duckguss mit einer Unterbodendetaillierung, die Drehgestelle waren aus Metall und gefedert. Das verlieh dem Modell ein ordentliches Gewicht. In den kommenden 10 Jahren wurden ca. 20 Varianten dieses Wagens gefertigt, der intern übrigens als 6565 bezeichnet wurde.








Kusan und K-Line

Die Modellbahnsparte bei Kusan lief nicht so richtig. Man hatte gute Ideen, übernahm die Formens von AMT, dann kamen die K-Series Modelle. Das waren relativ gut detaillierte, aber sehr kostengünstig produzierte Spielzeugbahnen. Ich hatte ja schon mal ein paar Sachen hiervon vorgestellt. Werfen wir einen Blick auf den Boxcar, von 1957. Bitte die Details mit den gezeigten Bildern von Lionel vergleichen, insbesondere die Stirnwände.



Eine Türe war permanent offen, die andere fest geschlossen.







Der Wagen war sehr, sehr nahe am "Vorbild". Er war ein paar Millimeter kürzer, und die feststehenden Türen verhinderten wohl, daß er als Plagiat eingestuft wurde. Die Formen übernahm zunächst Williams (unverändert), später MDK K-Line. Hier wurde Anfang der 80er Jahre viel Mühe investiert, die Türen wurden komplett aus der Form entfernt und separat neu konstruiert, fehlende Nietreihen und Türlaufschienen aus Blech angebracht und der Wagen bekam ein Fahrgestell aus Blech. In der Classic-Version kamen auch gefederte Drehgestelle aus Guss zum Einsatz.Auf dem Folgenden Bild der marginale Längenunterschied zu Lionel (Lionel liegt auf dem Dach).



Bei den Nieten ist nicht erkennbar, welche neu angebracht wurden.



Nochmal die Front/End Details, bei K-Line wurde der Hersteller und "6400" auf den Endpanels geprägt.





Die K-Line Wagen waren ab der zweiten Hälfte der 80er auf dem Markt. Auch die dürften gehörigen Druck auf Lionel ausgeübt haben, waren sie doch mit den vielen Metallteilen, der Lackierung und dem viel günstigeren Preis den Modellen von Lionel haushoch überlegen. Und wenn man meint, die verspätete Antwort von Lionel wäre hier der oben gezeigte 6565 gewesen? K-Line konstruierte schon 1996 die 6400er Form komplett neu. Ab da hatte dieser Wagen eingesetzte Griffstangen und Metall-Leitern und war damit wieder einen Schritt weiter.

Und die Moral? Die fehlt. K-Line, Kusan, AMT, MTH, Weaver, sie alle gibt es nicht mehr, aber der alte Löwe lebt weiter...

Schönes Wochenende!

Martin


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martin67
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