Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#1 von Udo , 07.08.2017 21:53

Hallo,

eine ziemlich unscheinbare Annonce in einer Münchener Zeitung von 1860 machte mich neugierig. Dort bot eine Familie gebrauchtes Spielzeug an, darunter eine Eisenbahn. Es war bestimmt nicht die von Goethe, aber immerhin eine Eisenbahn und das im Jahr 1860.

Danach fand ich im "Münchener Anzeiger" vom 23.12.1864, also zwei Tage vor Weihnachten, eine Annonce des "Spänglers A. Frank" in der Dienersgasse 13, der Blecheisenbahnen zum Kauf anbot.

Auf der weiteren Suche las ich dann einen Artikel über "Die deutsche Spielwaaren-Industrie". Hochinteressant !
Ich habe den Beitrag aus der Frakturschrift "übersetzt", damit es alle lesen können. Die manchmal gewöhnungsbedürftige Schreibweise von 1869 wurde beibehalten.

So, nun geht es los:

Bayerische Landeszeitung
Morgenausgabe
29.12.1869

Die deutsche Spielwaaren-Industrie.

Auf allen Märkten der Welt, selbst wo deutsche Sprache und Sitte viele hundert Meilen schon aufgehört haben, Eins ist aus unserem Vaterlande vorzufinden: die deutschen Spielwaaren. Als das chinesische Reich mit englischen Kanonen geöffnet, als Japan durch das ebenso stattliche als bedrohliche Geschwader des Commodore Perry zu einem Freundschafts= und Handelsvertrage bewogen worden war, und die ersten Deutschen auf den dortigen Märkten eintrafen, da war ihnen das deutsche Spielzeug längst vorangeeilt. Und selbst der fromme Missionär an der Küste Ostafrikas, der auf den Lippen das Evangelium, in der rechten Hand die „Taschenapotheke“ hat, in der linken Hand hält er einige Spielwaaren für die kleinen Zulus oder Buschneger bereit, um für seine ersten Besuche Friede und Freundschaft auf dem Umwege durch die Kinderherzen sich zu verschaffen.

Millionen von Kinderaugen erglänzten in diesen Tagen in vollem Strahlen nach dem „Nürnberger Tand“ am erleuchteten Christbaume, den ihnen Aelternliebe angezündet und reich behangen hatte. Und so möge in der Feststimmung dieser hohen Zeit der Freude, in welcher das Wort „Kindersegen“ sich wie nie mehr im Jahre fühlbar macht, nach der irdischen Seite der oft beengenden und bedrängenden Ausgaben sowohl, wie nach der seelischen des Glücksgefühl durch den Besitz von Kindern, in dieser Feststimmung, in der jenes Bibelwort allüberall so ganz wahr wird, „Geben ist seeliger als Nehmen“, die sonst trockeneren Gegenstände zugewendete Feder einmal eine Skizze der Spielwaaren-Industrie Deutschlands zu geben sich bereiten, dieses ebenso anziehenden wie großartig entwickelten wirthschaftlichen Zweiges deutschen Fleißes und kaufmännischer Intelligenz. Das Weihefest zartester Liebe gegen die kleine Welt und die Concentration alles Dichtens und Trachten auf die Vorbereitungen zum heiligen Abend läßt uns gerne einmal die politischen und ökonomischen Kämpfe und Interessen für einige Stunden vergessen.

Die Metropole dieses Zweiges industrieller Geschicklichkeit und Emsigkeit ist seit Jahrhunderten Nürnberg, welches namentlich seit dem Ende der deutschen Freiheitskriege in steigender Entwicklung begriffen und gegenwärtig zu einer Blüthe gelangt ist, welche den Platz in den Stand setzt, seine Spielwaaren direkt oder durch Zwischenhändler nach den entferntesten Punkten des Weltmarktes zu führen. Doch ist diese alte industriereiche Stadt nicht alleine im Besitz der Branche geblieben, sondern andere Gegenden sind in Wettstreit mit ihr getreten. Es liefert heutzutage die deutsche Industriebranche auf ihrer Höhe nicht nur erstaunlich billige Waaren, sondern zu hoher Ehre unserer Arbeiter, zugleich so erfinderisch und sein ausgedachtes Sächelchen, daß man bei einem Spaziergange durch die Lager und Werkstätten nicht umhin kann, Einzelnem aus dem „Tand“ wegen seiner sinnreichen Construktion seine offene Bewunderung zu zollen. Ich erinnere nur an das auf Stelzen allein die Treppe hinuntergehende Männchen, das sich obendrein noch auf jeder zweiten Stufe überschlägt. (Merkwürdigerweise wird ganz dasselbe Spielzeug auch in altrömischen Schriftstellern erwähnt.)

In Nürnberg sind nicht weniger als 120 Werkstätten für die Branche im Gange, in denen über 1000 fleissige und geschickte Hände alle jene vielfachen Gegenstände aus Holz, Papiermaché, Guttapercha und anderen Stoffen wie z.B. den verschiedensten Metallen anfertigen. Alles arbeitet sich hier nach dem Gesetz breitester Arbeitstheilung gegenseitig in die Hände. Die verschiedensten Gewerbe helfen dabei mit, wie z.B. zahlreiche Werkstätten von Buchbindern und Tischlern, Papierfabriken, Farbwaarenhandlungen ec.

Der Thüringer Wald und das sächsische Erzgebirge, beides Distrikte mit sehr dichter, armer Bevölkerung, haben im Laufe des letzten Jahrhunderts ebenfalls eine Bedeutung für Spielwaaren-Verfertigung gewonnen; sie liefern meist jene zum Verwundern billigen menschlichen Figuren und Thiergestalten aus Holz mit Bäumen, Häusern, Ställen, Kirchen ec. in Schachteln verpackt, während Nürnberg vorzugsweise die kleinen Geräthschaften und Gegenstände anfertigt, welche höher im Preise kommen und schon für Kinder besser situierter Aeltern bestimmt sind so z.B. Eisenbahnzüge, Lokomotiven, Waggons ec.

Neben jenen circa 120 Werkstätten beschäftigt Nürnberg noch etwa 50 Drechslereien. Ferner werden in über 80 Klempnerwerkstätten allerlei Blechspielwaaren in großen Massen produciert: Trompeten aller Art, Kähne, Kochheerde, Kindersäbel ec. Auch Zauberlaternen liefert man mit Hilfe verbesserter Maschinen jetzt in vorzüglicher Güte. Einige Fabrikanten arbeiten nur Springbrunnen=Arrangements, Mühlen von Wasser getrieben, blecherne Kähne, Schiffe, Schwimmvögel, Fische mit magnetischen Fangnadeln, kleine Carousells, menschliche Genrefiguren, Carrikaturen, Thiergruppen u. dgl. Was die plastische Naturwahrheit der Figuren und Gruppen anbelangt, so hat sich die Schnitzerei und Formerei seit den letzten 10 Jahren ebenso gehoben, wie der Geschmack des Publikums die Forderungen jetzt höher stellt. Wie weit die Kunstfertigkeit in den Werkstätten geht, zeigt auf der Münchener Ausstellung ein genaues Modell des Schraubenschiffs „Wellington“ mit 131 Kanonen (aus Blech). Es ließ sich das Deck abnehmen und das Innere besehen; kein Raum war vergessen. Auf der Londoner Ausstellung erregten namentlich die eleganten Miniatur=Equipagen, sowie deren billige Preise Aufsehen. Durch die Anmuth der Form haben die deutschen Spielwaaren selbst den französischen Fabrikanten längst den Rang abgelaufen.

Mit dem Aufschwung der Thonwaaren=Fabrikation ist die Zinngießerei sehr in Abnahme gekommen. Während letztere früher eine sehr bedeutende Ausdehnung hatte, da die kleinen Teller, Geschirre, Löffel für die Kinder=Puppenstuben meist aus Zinn waren, hat die Thonwaaren=Fabrikation derartige Sächelchen die Zinngießerei aus vielen Städten ganz zum Weichen gezwungen. Nürnberg hat heutzutage nur noch circa 20 Zinngießer aufzuweisen, die sich mit Anfertigen von Soldaten, Uhren, Schmuck, Möbeln ec. beschäftigen.

Die größeren Fabrikanten verarbeiten jährlich 150 Centner des Metalls und beschäftigen 50-60 Mädchen. Doch könnte die doppelte Zahl Arbeit finden, wenn nicht so wenige acurate Arbeiterinnen vorhanden wären. In der Acuratesse nimmt es aber gerade die Nürnberger Industrie sehr genau, und dem hat man es zu danken, daß das Nürnberger Fabrikat dem Berliner und Kasseler an Schönheit und Richtigkeit der Zeichnungen weit voraus ist.

Wie man es gegen früher zu einer großen Vollendung in Form und Malerei gebracht hat, so bekundet gegenwärtig der Umstand die Zeichen der Zeit, daß man nicht mehr die Figuren allein aus der Soldatenwelt nimmt, sondern auch aus der Naturgeschichte und dem täglichen bürgerlichen Leben. Das Spielzeug ist hiedurch zu einem außerordentlichem Lehrmittel geworden für die ganze kleine Kinderwelt. Diese große Bedeutung des „Nürnberger Tands“ hat neben dem Zwecke des Zeitvertreibes unstreitig den deutschen Fabrikanten die Märkte der Schweiz, Italiens, Frankreichs, Englands, Amerikas und aller überseeischen Ländern erobern helfen. Und dieses Streben nach Vervollkommnung der Erziehungszwecke für Anregung des Denkens in den jungen Weltbürgern auf dem Wege des Anschauungsunterrichts ist mit jedem Jahre lebendiger und stärker geworden. Hierdurch haben die „Nürnberger Jugendspiele“ ein klassisches Ansehen errungen und die Erfindungsgabe ist in Wahrheit auf diesem weiten Feld bewundernswürdig.

Außer den allgemein bekannten Kinder= und Gesellschaftsspielen bringt man bald die mathematischen Grundverhältnisse fester Körper, bald die architektonischen, konstruktiven Schönheits=Verhältnisse zur Anschauung und es werden in letzterer Beziehung alle Style, vom griechischen herab bis zur Renaissance in den Baukästen vorgeführt. Seit einer Reihe von Jahren spielen neben den Baukästen auf dem selben Gebiet die Modellirbogen eine bedeutende Rolle.

Nicht weniger mannigfaltig sind die geschichtlichen Spiele, in denen die historischen Persönlichkeiten spielend dem Verstande der Kinder bekannt gemacht und und dem Gedächtniß eingeprägt werden. Auch die Lehren der Physik weiß man für die Jugend ebenso geschickt als instruktiv zu verwerthen. Selbst Lokomotiven baut man jetzt schon in Massen, sowie stehende Dampfmaschinen mit Spiritusflammen heizbar und leicht in Gang zu setzen. Gegen ein Halbhundert Fabrikanten beschäftigen sich in Nürnberg ausschließlich mit Erfinden und Anfertigen von Jugendspielen, und die Fabrikate nehmen einen steigenden Absatz auf allen Weltmärkten. Bemerkenswerth sind auch die sogenannten „Sandwerke“, meistens humoristische Bilder mit beweglichen Figuren, Affenkonzerte, Scheerenschleifer, Schuster, Zank= und Prügelscenen, Pepitas, Dukatenmacher und andere produktive possierliche Individuen. Auch diese Sachen haben sich längst Popularität im Volke erworben und zeichnen sich durch erstaunliche Billigkeit aus.

Nürnberg zur Seite steht das ihm benachbarte Fürth, das ebenfalls alle angeführten Spielsachen liefert, und zwar meistens für Nürnberger Firmen.

Der Hauptsitz der thüring'schen Spielwaaren=Fabrikation ist das kleine, meining'sche Städtchen Sonneberg mit zahlreichen Dörfern in der Umgebung, auf denen Alle, selbst Weiber und Kinder nicht ausgeschlossen, mit bienenartigem Fleiße schnitzen und hämmern und nageln und malen. Schon 1735 war hier diese Kunst sehr mannigfach und ein Musterbuch aus diesem Jahre führt bereits auf: Schiefertafeln, Griffeln, Wetzsteine, Spritzen, Gewürzschränkchen und Kästchen, Schachteln und Schächtelchen in jeder Größe, Salz= und Mehlfäßchen, Schreibzeuge, Nähpulte, Köfferchen, hölzerne Kinderdegen, Flinten, Pfeifen, Kegelspiele, Klappern, Kukuks, Schnurren, Nußknacker, Spiegel, Hemdknöpfchen, Bleistifte, Bilderrahmen, Wandleuchterchen u.s.w. Später wurden noch kleine Spielkugeln von Muschelkalk in großer Menge geliefert. Sonneberger Kaufleute siedelten sich über in unsere Nord= und Ostseehäfen, nach Riga, Petersburg, skandinavischen und amerikanischen Ländern, England und Frankreich.

Da das ungefügige Holz die Köpfe der Puppen und Formen der Thiere nur schwierig und unvollkommen darstellen ließ, wendete man in neuerer Zeit plastische Masse an, Papiermaché, Steinpappe ec. Entweder ausschließlich oder auch in Verbindung mit Holz. Damit war aber wieder die Bahn für einen völlig neuen Industriezweig gebrochen, die eigentliche Holzschnitzerei trat in den Hintergrund. Die plastische Bildnerei, das Bossiren von allerlei Spielzeug und Nippsachen der niedlichsten und unendlich mannigfachen Art wurde immermehr ein Hauptgeschäft. Um den gewerblichen Betrieb bei der Zunahme der Absatzwege noch lohnender zu machen, bildeten sich wieder Arbeitstheilungen, besondere Special=Fabrikationszweige aus, z. B. diese ausschließlich für Puppen, jene nur für Thiere ec. ec. Man ging weiter zu anderen Materialien über, zu Leder, Guttapercha, Porzellan, Glas ec., ältere, sonst flottbetriebene Geschäfte verkümmerten und gingen unter dem Wechsel der Mode und dem Gange des Fortschritts ganz ein, wie Brieftaschenmacher, Schwarzblecharbeiter ec. Selbst die Künste der Malerei, Bildhauerei, des Modellirens wurden jetzt immer bedeutender, die Musik wurde herangezogen und sehr vervollkommente Kinder=Blasinstrumente, Orgeln, kleine Pianos kamen in Aufnahme.

Die Industrie dehnte sich allmälig über das ganze meining'sche Oberland im Umkreis mehrerer Quadratmeilen aus. Im Jahre 1840 zählte man hier bereits 264 Drechsler und Holzschnitzer, 111 Papiermaché=Arbeiter, 31 Dockenmacher, 44 Bossirer ec. Daneben machen andere nur Kisten und Schachteln jeder Façon und Art. Geigen, Drehorgeln, Steinwaaren, Schiefertafeln, Griffeln, Wetzsteine, Porzellan= und Glaswaaren ec. Schon im genannten Jahre beschäftigten sich in Sonneberg und Umgegend 7000 Menschen lediglich mit Anfertigen von Spielsachen. Seitdem ist die Bevölkerung durch das Aufblühen des Industriezweiges rasch gewachsen. Sonneberg hatte vor 50 Jahren 1800 Einwohner, heute über 6000, aus dem schlichten Gewerbe ist ein rationell betriebener kaufmännischer Großbetrieb und Welthandel geworden. Die Vielseitigkeit der Arbeit geht ins Erstaunliche. Reiche und arme Provinzen und Länder beziehen verschiedene Waaren; Amerika, Java, Australien bezieht teure Fabrikate. In Europa ist England der beste Nehmer. Welchen Umfang der Verkehr und Versandt hat, zeigt die Thatsache, daß im Jahre 1861 auf der Werrabahn 463,000 Centner hin= und hergingen, und zwar fertige Spielsachen im Gewichte von 266,514 Centner (58,77 Prozent) nach den verschiedenen Märkten, 186,007 Centner (41,22 Prozent) kamen auf die Einfuhr von Hölzern, Rohstoffen und Hilfsmaterialien aller Art für die Fabrikation. Um sich einen Begriff von der Vielseitigkeit derselben zu machen, mag schließlich erwähnt werden, daß Sonneberger Firmen ihren Reisenden Musterbücher, bis 16,000 verschiedene Nummern enthaltend, mit in die Welt geben.

Schönen Gruß
Udo


 
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zuletzt bearbeitet 12.08.2017 | Top

RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#2 von metallmania , 07.08.2017 23:36

Danke Udo,

große Klasse, es hier lesen zu dürfen.


Gruß
Werner

Märklin Anlage # 10 aus Heft 0330, Gleisplan neu interpretiert


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#3 von Udo , 08.08.2017 00:01

Hallo,

damit man mal eine Vorstellung von Lokomotiven aus dem vorvorigen Jahrhundert hat, hier einige Bilder. Soweit ich weiß, sind die Hersteller dieser Loks unbekannt.













Schönen Gruß
Udo


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#4 von geopiri ( gelöscht ) , 08.08.2017 09:15

Hallo Udo,

ein toller Beitrag, klasse... hat mich sehr neugierig gemacht, und so tauchte ich in verschiedene Guhgel Bereiche ein um mehr zu erfahren, wie sah Deutschland 1869 aus, die Märklin Geschichte, davon kommt man gut nach Trix, Weltausstellungen Spielsachen, erste Spielzeug Eisenbahnen in Amerika oder England, und dann kommt man wieder zurück in die Nürnberger Gegend und ist einfach fasziniert, was dort in Sachen Eisenbahn gebaut wurde.

Deine Berichte finde ich sehr gut, auch von mir hier ein grosses Dankeschön,
Gruss Georg


geopiri

RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#5 von spurnullo , 08.08.2017 09:15

Was man hier alles Spannendes zu lesen und zu bestaunen bekommt! Blechahnenforschung vom Feinsten. Vielen Dank für die Mühe, Udo!
Beste Grüße - spurnullo


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#6 von pvmann , 08.08.2017 15:02

Vielen Dank an Udo auch meinerseits!
Schöne Grüße aus Budapest!
Sandor


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#7 von Gelöschtes Mitglied , 08.08.2017 23:19

Hallo Udo,
vielen Dank für diesen detaillierten Beitrag aus der Frühzeit der Spielzeug-Herstellung. Darüberhinaus eine außerordentliche Fleiß-Arbeit!
Die im ersten Bild gezeigte Lok dürfte von Schoenner stammen, zumindest weisen einige Merkmale deutlich darauf hin. Nur der Schlot ist wohl ersetzt.
Viele Grüße
Wolfgang



RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#8 von haensel , 10.08.2017 16:48

Hallo Wolfgang,

Schoenner ist richtig.

Im Buch "Historische Spiritus-Lokomotiven" von Rüdiger Gröning ist eine solche Lok abgebildet.




Viele Grüße Mike


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#9 von Gelöschtes Mitglied , 10.08.2017 17:54

Ja, Mike, das ist das richtige Nachschlagewerk! Schoenner sowie die anderen Nürnberger Hersteller von frühen Spiritus-Loks sind richtig spannend.
Rüdiger Gröning hat die Unterschiede der einzelnen Hersteller sehr gut definiert. Er arbeitet schon an der 2. Auflage!
Viele Grüße
Wolfgang



RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#10 von Lorbass , 10.08.2017 18:33

Hallo zusammen,

die unterste Lok würde ich ebenfalls Schoenner zuschreiben.

Grüße
Frank



 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#11 von riera , 10.08.2017 19:35

Zitat von Wolko im Beitrag #9
Ja, Mike, das ist das richtige Nachschlagewerk! Schoenner sowie die anderen Nürnberger Hersteller von frühen Spiritus-Loks sind richtig spannend.
Rüdiger Gröning hat die Unterschiede der einzelnen Hersteller sehr gut definiert. Er arbeitet schon an der 2. Auflage!
Viele Grüße
Wolfgang


Lieber Wolfgang, stimme Dir voll zu.
"Der Gröning" gehört ins Bücherregal eines jeden, der sich mit ur-uralten Maschinen beschäftigt.
Auf Grund dieses Buchs, erworben 2009, hat sich mein Horizont erweitert, vor allem konnte ich in etwa meine Maschine, die ich vorher als unbekannt führte, einordnen.
Kamin und Brenner konnte ich daraufhin rekonstruieren, und läuft.
Ein ur-uralter Schinken, der hat schon was.

















Gruß,
R.R.


Udo hat sich bedankt!
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#12 von Sammelwahn , 10.08.2017 20:01

Udo,
zu deinen Bildern:
Die zweite Lok würde ich Stevens Model Dockyard zuschreiben.

Die dritte Lok ist im Buch "Modell Lokomotiven" von J.E. Minns zu finden. Auf Seite 63 ist eine Annonce von der Firma Clyde Model Dockyard wo sie abgebildet ist. Der Autor schreibt sie aber der Firma Radiguet zu.

mit bestem Gruß
Arne


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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#13 von Gelöschtes Mitglied , 10.08.2017 21:32

Hallo alle detektivisch ambitionierten Spiritus-Lok-Freunde,

Frank: Zuordnung beim letzten Bild sehr schwierig. Erkenne keine Schoenner-spezifischen Merkmale. Tendiere eher zu Steven's Model Dockyard, z.B. wegen der ausgeprägten Kesselringe.
Finde gerade mein Nachschlagewerk von J.E. Minns leider nicht. Dagegen spricht allerdings die Bemalung, die allerdings auch von einer späteren Ergänzung stammen könnte.

Arne: mit dem 2. Bild stimme ich zu, habe auch spontan daran gedacht. Schöne massive Messing-Arbeit. Mit dem 3. Modell kann man den Vergleich im Gröning-Buch finden, wobei er aufgrund
der Kugeln, die sich als Verzierung am Führerstand befinden, den Hersteller Radiguet erwähnt. Wenn Du jedoch mehr zum englischen Hersteller tendierst, und zwar aufgrund des oben
erwähnten Nachschlagewerks, was ich gerade nicht finden kann, so kann man die Modelle doch zeitlich gut einordnen. Radiguet hat sich bei seinen Modellen lt. Gröning stark an
Steven's Model Dockyard angelehnt.

Eine genauere Zuordnung wäre sicher möglich, wenn die Maße bekannt wären.

Riera: so erging es mir auch! Durch das Buch habe ich ebenfalls das spezielle Thema wieder aufgefrischt. Konntest Du Deine Lok einem Hersteller zuordnen? Zumindest ist diese
die älteste Maschine die hier in diesem Beitrag gezeigt wurde.
Viele Grüße
Wolfgang


zuletzt bearbeitet 12.08.2017 00:13 | Top

RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#14 von Lorbass , 11.08.2017 12:08

Hallo Wolfgang,

schau Dir die Räder der Lok an,dass sind für mich Schoenner Räder.

Viele Grüße
Frank



 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#15 von Udo , 11.08.2017 15:47

Hallo,

was man nicht alles in alten Zeitungen findet. So beispielsweise einen Bericht über das Pariser Straßenleben, und auf einmal taucht die Spielzeug-Eisenbahn auf. 1854 !

Morgenblatt für gebildete Leser
Stuttgart München
27.1.1854

Pariser Straßenleben

Viel Unterhaltung bieten auch die Spielwaaren-Läden, in denen mancherlei charakteristisch erscheint. Alles ist hier nach etwas größerem Zuschnitte als in deutschen Städten, nicht so kleinlich, zierlich und liebevoll, aber mehr Style und mehr Luxus.

….

Hier ein kleines Theater, eine „Opera“, rechts davon die Kirche mit der Monstranz auf dem Tabernakel und dem Muttergottesbild, links die Küche voll blanken Zinns; dort Diligenzen [das sind Postkutschen ] und Waggons und ganze Eisenbahnzüge. ...

Die Beantwortung der Frage, mindestens ab wann die Lokomotiven mit Uhrwerk ausgestattet wurden, verdanken wir dem Konkurs eines Münchener Spielwarenhändlers 1864.

Neueste Nachrichten aus dem Gebiete der Politik
München, 18.10.1864

Concurs des Spielwaaren-Händlers Christian Prinoth dahier
Haus Nr. 7 in der Kaufingergasse

reichhaltiges Lager der Kinder-Spielwaaren

...Lokomotiven, Wagen aller Art u. mit Uhrwerk...

und ab wann es Spielzeug mit eingebautem Uhrwerk gibt, kann man hier lesen:

Allgemeine Handlungs-Zeitung
Nürnberg
18.05.1819

Über die erste öffentliche Ausstellung der Kunst=Erzeugnisse Nürnbergs.

….niedliches lakiertes Spielzeug aus Blech...
...mechanische selbstlaufende Figuren, mechanisches Spielzeug aller Art …

Zwar hat der Nürnberger Uhrmacher Hans Hautsch und danach auch andere um 1650 schon so etwas gebaut, aber seine teilweise riesigen, bis zu 150 Personen umfassenden Burgen, Häuser und Werkstätten, bei denen die kleinen Blechfiguren typische Bewegungen machten, wurde von einem zentralen Uhrwerk gesteuert. Zumindest seit 1819 wissen wir nun, wie geschickt schon damals die Nürnberger Handwerker waren, um mechanisches Spielzeug herzustellen. Das hat den Ruf der Nürnberger Produktion in alle Welt getragen.

Übrigens, der erwähnte Hans Hautsch hat 1649 auch das erste vierrädrige Automobil gebaut. Das Fahrzeug war für einen Gichtkranken (mutmaßlich seinem Vater) gedacht. Es besaß ein riesiges Uhrwerk und fuhr 1,6 km/h.

Schönen Gruß
Udo


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#16 von Gelöschtes Mitglied , 11.08.2017 22:31

Das sind tolle Infos hier! Mit dieser Archäologie kenne ich mich überhaupt nicht aus, aber es ist interessant, das anzuschauen!

Ich frage mich aber ernsthaft, wie sicher diese lustigen Lötarbeiten waren. Damals zerknallten ja auch echte Lokomotiven gerne mal, man nahm es mit der Sicherheit wohl nicht so genau. Gerne nahm
das Lokpersonal an warmen Tagen auch mal so 1,5 Liter Wein als Erfrischungsgetränk gegen den Durst. Niemand trennte sich derartig technikbegeistert von ganzen Gliedmassen oder mehr als der Mensch des 19. Jahrhunderts!

Nun, im Ernst wird hier niemand mehr mit solchen Sachen in Kinderzimmern spielen, nehme ich an. Aber wie war das damals? Ist das überhaupt wirklich so gefährlich, wenn so eine kleine Büchse zerknallt?
Oder hat das dann nur gezischt und die Kühe sind umgefallen und Hoppenstedts haben frohe Weihnachten gewünscht?

By the way, demnächst jährt sich der letzte Dampflokzerknall in Deutschland zum 40 Mal!

Martin



RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#17 von Udo , 11.08.2017 22:58

Martin, erzähl mal, was da vor 40 Jahren passiert ist.

Ich habe es ja vor zwei Jahren geschafft, eine S-Bahn mit Uhrwerk zur Explosion mit nachfolgenden Brand zu bringen.

Uhrwerk Spur 0, Explosion und Feuer

Und was alte Bahnen angeht, gerade gefunden: Bereits 2009 hat elaphos hier im Forum das Thema angesprochen.

es geht noch größer als 2 (Schönner)

Schönen Gruß
Udo


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#18 von Gelöschtes Mitglied , 12.08.2017 00:37

Zitat von Lorbass im Beitrag #14
Hallo Wolfgang,

schau Dir die Räder der Lok an,dass sind für mich Schoenner Räder.

Viele Grüße
Frank


Hallo Frank,
bei Schoenner habe ich bislang noch keine Lok dieser Art gesehen, wobei die Räder der Vorderachse größer sind als jene der Hinterachse. Nur bei mehr als 2 Achsen ist dies der Fall.
Rüdiger Gröning gibt den Hinweis, dass bei den Vorderachsen die Anzahl der Speichen 9 sind, also ungerade. Damit lassen sich die alten Schoenner-Modelle gut erkennen.
Es gibt aber noch andere Merkmale: die aufgestülpten "Deckel" bei den Zylindern sowie die Pleuelstangen mit Verbindungsstücken. Bei Radiguet sind diese am Ende abgerundet
und bei Steven's Model Dockyard sind diese spitz, genau wie bei dem hier fraglichen Modell. Ferner sind die Dampfdome für Schoenner atypisch. Ich werde mal ein Bild an R.G.
senden und seine Meinung einholen.

Udo: nochmals vielen Dank für die informative Ergänzung.

Viele Grüße
Wolfgang


zuletzt bearbeitet 12.08.2017 00:38 | Top

RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#19 von Udo , 12.08.2017 15:17

Hallo,

eigentlich habe ich nach weißen Bohnen gegoogelt, aus denen Marzipanersatz gemacht wird. Altes Kulturgut aus Japan !

Und dabei bin ich auf Johann Michael Ißmaier gestoßen, den Vater des Johann Andreas Issmayer, welcher ab 1861 Blechspielzeug und ab 1879 Blecheisenbahnen herstellte.

In der Bibliothek des Deutschen Museums München befindet sich ein Katalog

"Verzeichniß der Local-Industrie-Ausstellung der königlich bayerischen Stadt Nürnberg 1845",

der hochinteressante Einträge erhält. Neben den Herstellern von Eiernudeln, Bier des Herrn Lederer sen., Zahnbürsten, natürlich Bleistiften inserierten eine Anzahl von Spielzeug-Herstellern. Einige als "Mechanicus" bezeichnete und andere Meister und Gesellen. Insgesamt stellten 429 Aussteller ihre Waren vor.

Aussteller 15:
Mildbradt, Joh. Philipp, Flaschnermeister aus Nbg.: 73 Stück Spielsachen von Blech, nicht verkäuflich.

Aussteller 31:
Obitsch, Georg Friedrich, Flaschnergeselle in Nbg.: eine Lokomotive mit Tender von Blech, eine moderne Equipage [Kutsche], verkäuflich.

Aussteller 49:
Ring, Wilhelm, Flaschnermeister in Nbg.: 1 Dampfschiff mit Uhrwerk, 5 Wagen, Kinderspielsachen, verkäuflich.

Aussteller 163:
Lichteneber, Joh. Wilhelm,Spielwaarenmacher in Nbg.: 1 mit einem Werk versehener Dampfwagen von Blech, verkäuflich.

Aussteller 169:
Herbst, Joh. Paulus, Zinngießermstr. in Nbg.: einen Dampfwagenzug von Zinn, als Geschenk bestimmt und daher unverkäuflich.

Aussteller 241:
Büchner, Joh. Eduard, jun., Firma: Joh. Lorenz Büchner's Wwe., Flaschnermstr. in Nbg.: 1 Dampfboot, 1 Feuerspritze, 1 Tempel grün lackirt, verkäuflich.

Aussteller 276:
Ißmaier, Johann Michael, Flaschnermeister in Nbg.: 41 Stück Spielsachen von Messingblech, und 4 Stück Blumenvasen von Blech, nicht verkäuflich.

Schönen Gruß
Udo


 
Udo
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zuletzt bearbeitet 14.08.2017 | Top

RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#20 von Gelöschtes Mitglied , 13.08.2017 20:30

Ich denke, viele dieser uralten Sachen wurden noch von ersten Sammlergenerationen als billige Eigenbauten abgetan und entsorgt. Ich erinnere mich an folgende Erzählung (habe ich vielleicht schon mal wiedergegeben): Sammler, 60/70er Jahre, Samstag-Fischzug nach der üblichen Wochenanzeige nach Dampfmaschinen: Als das Auto voll und noch Zuschriften übrig waren, wurden die einzylindrischen Maschinen in den Straßengraben entsorgt und nur die zweizylindrischen aufgehoben. So habe ich es um 1983 gehört.



RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#21 von Udo , 13.08.2017 21:24

Joha, das war früher ein großes Problem, nicht nur bei Eisenbahnen und Dampfmaschinen, sondern bei vielen anderen Artikeln. Lediglich Biermarken und Reklamemarken wurden nicht entsorgt, weil man erstere oft als Münzen ansah und letztere als Briefmarken.

Vieles, das zerspielt worden war, also die defekte Lok als auch solche Waggons wurden kurzerhand entsorgt. Man sah darin keinen Wert.

Nun ist es heute so, dass sich die Ansichten geändert haben. Das heißt nicht, dass nicht auch heute noch Blechspielzeug entsorgt wird, aber das dürfte doch selten sein. Außerdem sagen sich die Leute, man kann es ja bei eBay verkaufen. Da erinnere ich mich, dass vor einigen Jahren bei eBay ein Rostklumpen verkauft wurde. Ohne Führerhaus (schon weggerostet), aber mit doubleclockwork von Märklin. Dieser Rostklumpen wurde meiner Erinnerung nach für mich erstaunliche über 600 Euro zugeschlagen. Heute kann ich den Preis verstehen.

Ein Glück für uns sind die Museen, die in ihren oft noch unerforschten Kellereien unzählige Stücke beherbergen, die im Laufe der Zeit doch noch das Licht des Tages erblicken dürften.

Und Interessantes taucht auch in dieser hier zitierten schriftlichen Art auf. So habe ich von der bis vor einigen Jahren (fast) völlig unbekannten Firma Rock & Graner zwei Belege ganz aus der Anfangszeit gefunden, die ich hier demnächst einmal veröffentlichen werde. Und ich bin überzeugt, noch mehr Interessantes zu finden.

Ich habe ja hier nur einige der Hinweise auf Spielwarenfabrikanten veröffentlicht, aber ich kann sagen, dass ich etliche Hersteller aus der Zeit um 1860 und früher gefunden habe, die Spielzeuglisten franco zuschickten. Zwar nur Text, aber die Handlungsreisenden hatten ja ihre Musterkoffer dabei, um vieles zu zeigen und entsprechende Listen beim Kaufmann zu hinterlassen. Übrigens, die Hersteller wussten ja, welcher Reisende welche Kaufleute besuchte (vorher wurden sogenannte Reise-Avise verschickt; das waren vor der Einführung der Postkarte 1870 frankierte und adressierte Karten, die dem Kaufmann mitteilten, wann ihr Reisender den Kaufmann besuchen wollte), und dann wurde bei einer späteren Bestellung dem Reisenden auf den Pfennig bzw. Heller genau die Provision berechnet, wie das beispielsweise heute noch in Brasilien der Fall ist. Absolute Ehrlichkeit !

Schönen Gruß
Udo


 
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zuletzt bearbeitet 14.08.2017 | Top

RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#22 von Udo , 14.08.2017 16:38

Hallo,

in Nürnberg betrieb der Flaschnermeister Johann Lorenz Büchner eine Werkstatt für Blechbearbeitung. Er hatte mit seiner Frau Maria Catharina Büchner drei Söhne, die den gleichen Beruf erlernten, Heinrich Markus Büchner, geboren 1790, Johann Lorenz Büchner, geboren 1792 und Johann Büchner, geboren 1795. Alle drei Brüder sind wohl aus Krankheitsgründen nicht auf Wanderschaft gewesen, bekommen jedoch, manchmal nach Schwierigkeiten, den Meistertitel; Heinrich Markus deshalb, weil er sich als „Mechanicus“ betätigt. Er stellt also mechanische Arbeiten her.

Der Johann Lorenz Büchner, geb. 1792, beantragt 1820 die Meisterrechte und führt an, dass er und seine Brüder keine gewöhnlichen Blecharbeiten ausführen, sondern sie würden allerlei Getier mit mechanischen Aufzug fertigen. Die eigenen Entwürfe würden sehr stark gekauft und deshalb wären sowohl seine eigene Werkstatt als auch die seines Bruders gut beschäftigt.

Die Vorsteher der Flaschner-Zunft lehnen das Gesuch erst einmal ab, das neue Werkstätten deshalb nicht genehmigt werden könnten, weil bereits 47 Flaschner-Werkstätten vorhanden seien, von den zwei Drittel keine Arbeit hätten. Außerdem träfe es nicht zu, dass nur die Büchners solche mechanischen Spielwaren herstellen würden, sondern es gäbe noch fünf weitere Werkstätten, die sich mit dem Verfertigen von mechanischen Flaschnerarbeiten beschäftigten und deshalb keine Vermehrung gewünscht werde.

Das Situation änderte sich aber schnell, nachdem zwei Flaschner-Meister innerhalb weniger Wochen verstarben. Nach einem neuen Antrag von Büchner stellte die Innung fest, dass blechenere Tiere mit Uhrwerk einen guten Absatz haben und gut bezahlt werden. Weil Büchner auf diesem Gebiet gut ausgebildet sei, wurde der Antrag auf das Meisterrecht 1821 genehmigt.

Nachdem am 7.12 1835 die erste deutsche Eisenbahn, die Ludwigs-Eisenbahn, Nürnberg-Fürth eröffnet worden war, stellt Heinrich Markus Büchner wenige Wochen später, also 1836, ein Blechmodell dieser Eisenbahn, die mit einem Uhrwerk betrieben wurde, her und bietet sie zum Verkauf an. Um sich von seinen Brüdern zu unterscheiden, befestigt er an den Zügen kleine geprägte Schildchen mit den Buchstaben MCB Büchner. Die Buchstaben MCB stehen für den Namen seiner Mutter Maria Catharina Büchner. Die Eisenbahn wurde in verschiedenen Größen angeboten; mindestens zwei Exemplare sind noch erhalten.

Außerdem gibt es im Germanischen Museum in Nürnberg eine umfangreiche Musterblatt-Sammlung des Nürnberger Verlegers und Druckers Peter Carl Geissler, der auch Spielzeug auf den Karten abbildete und den Zug von Heinrich Markus Büchner zeigt: Eine 1 A 1 – Lokomotive, einen Tender, einen offenen und einen geschlossenen Personenwagen, sehr viele Personen in den Waggons und als Höhepunkt den Schlüssel, um das Uhrwerk aufzuziehen. Ich werde versuchen, vom Museum ein Bild zu bekommen.

Der Spielwaren-Verleger Johann Carl Leuchs, Nürnberg, veröffentlicht 1836 eine Anzeige für eine Spielzeug-Eisenbahn mit Uhrwerk, die in seinem Geschäft zu kaufen wäre. Angefertigt durch Heinrich Markus Büchner aus Nürnberg.

Neue Waren
Dampfwagen
der Nürnberg=Fürther Eisenbahn, mit Kohlewagen und Personenwagen, durch Uhrwerk bewegbar, von lakirtem Blech 9 fl. [ fl = Gulden ]; desgleichen größer 12 fl., desgleichen noch größer, von Holz und Pappe ohne Personenwagen 13 fl.

1838 veränderten sich auf Grund des Erfolges die Preise.

Dampfwagen von Blech durch Uhrwerk beweglich fl.fl. 10 4/5 15, kleine mit 12 Figuren und Uhrwerk fl. 8 2/5, mit 10 Figuren und Uhrwerk fl. 7 3/8, von Holz und Papier fl. 15

Schönen Gruß
Udo


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#23 von Gelöschtes Mitglied , 14.08.2017 17:49

Hallo Udo,
das wird ja immer besser! Vielen Dank für den Beitrag. Die Pferdekutschen von Büchner sind schon besondere Klasse, sehr schön und filigran gearbeitet und auch immer noch sehr teuer.
Wenn aus dieser Dynastie jetzt auch noch Uhrwerk-Eisenbahnen bekannt werden dann ist das schon sensationell. Die bisherigen Autoren einschlägiger Literatur wären sicherlich hocherfreut.
Bin schon auf Deine Bilder gespannt.
Viele Grüße
Wolfgang



RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#24 von Udo , 17.08.2017 20:04

Hallo, Wolfgang,

du schreibst, dass die Autoren einschlägiger Literatur sicher hocherfreut gewesen wären. Aber sie haben nicht aufgepasst.

Heute bekam ich einen Katalog "Autos - Schiffe - Zeppeline, Eisenbahn & Dampfmaschine" von der 7. Volkskundlichen Ausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe im Schloß Bruchsal von 1985-1986. Der Autor des umfangreichen Vorwortes, Wolfram Metzger, unter Mitarbeit von Hans-August Ammermann, schreibt 1985 im Bereich Metallspielzeug; allerdings zum Schluß vom Text her doch sehr zweifelnd:

...Ein frühes Zeugnis für den Vorbildcharakter der technischen Welt ist der "Nürnberger Allgemeinen Polytechnischen Zeitung" vom 3. März 1836 zu entnehmen. Keine vier Monate nach der ersten Fahrt eines dampfbetriebenen Zuges auf einer Eisenbahn in Deutschland war in einem Inserat zum Kauf von "Dampfwagen der Nürnberg-Fürther Eisenbahn, mit Kohlenwagen und Personenwagen, durch Uhrwerk bewegbar, von lackiertem Blech" aufgefordert worden (nach Stölzl/ Zischka)....

Im Austellungskatalog "Die Welt aus Blech", Mainz 1981, schreiben Ch. Stölzl und U. Zischka ein Vorwort "Zur Geschichte der deutschen Blechspielzeugindudstrie im 19. und 20. Jahrhundert". Der Katalog liegt mir nicht vor, ich gehe aber davon aus, dass Metzger sein Zitat aus diesem Katalog entnommen hat.

Schönen Gruß
Udo


 
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RE: Spielzeug-Eisenbahn und Dampfmaschine vor 1869

#25 von Gelöschtes Mitglied , 17.08.2017 20:10

Lieber Udo,
solche Kataloge von 1985 findet man aber auch nicht mehr überall. Ich denke solche Literatur hat eine geringe Halbwertszeit. Unterliegt solcherart Literatur der Pflichtarchivierung?



   

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